Integrales Coaching

Die große Vision im Zusammenhang von Bewusstsein und Sprache

Sprache, dieses wundersame Instru­ment des Geistes, erlaubt den Menschen Mitteilung, Verständigung und Austausch. Sie ist mit den Kräften des Verstandes verwoben, denken wir über Sprache nach, gelangen wir zu der Frage, ob sich mit Sprache die Wirklichkeit erfassen lässt oder ob Sprache eine Hilfskonstruktion ist, um der Wirklichkeit Struktur zu verleihen.

Hat der Mensch das Raster der Spra­che entworfen, weil es unerträglich ist, im Ungegliederten zu leben oder weil er ohne Logik nicht auskommen kann? Stellen wir durch unsere Sprache erst Logik her und übertragen sie dann auf eine geglaubte, eher familiäre Wirklichkeit, die wir schein­bar erfassen?

Die Sprache ist ein Sieb, dessen Lö­cher in Mustern angeordnet sind, die den Strukturen unseres Denkens entsprechen. Mit diesem Sieb fischen wir im Trüben der Wirklichkeit. Was zurück bleibt und sich auf dem Boden des Siebs absetzt, zeichnet Muster, Familienmuster nach, die wir durch die Anordnung der Löcher dem Sieb selbst – durch unsere Sprache – gegeben haben. Sprache beschreibt demzufolge nicht Wirk­lichkeit, sondern unsere eigenen Denk- und Familienstrukturen. Jede Beziehung hat ihren Link in der Ursprungsfamilie. Das ist mein persönlicher Zugangsweg als Coach, als Supervisorin, Therapeutin und Heilerin.

Für mich ist „Der gestiefelte Kater“ der Brüder Grimm das Coachingmärchen. Al­les beginnt mit einem typischen Drama­dreieck (siehe Abbildung 1); einem Opfer, einem Täter und einem Retter.

Abbildung 1 - Dramadreieck - Opfer-Täter-RetterAbbildung 1

Die spannende Frage, die in der Auf­tragsstellung vom Coach zu klären ist: Wer ist wer? Zur Erinnerung: Der Müller stirbt und hinterlässt drei Söhne, dem Ältesten vermacht er die Mühle, dem Zweit­geborenen den Esel und dem Jüngsten den Kater.

Das spannende an einem Dramadreieck besteht darin, dass alle Beteiligten alle Rol­len ausfüllen. Der Retter also sich selbst in Gefahr bringt, um das Opfer zu retten, dem entsprechend selbst zum Opfer wird. Das Opfer just in diesem Moment aus der Opferrolle herauskommt und selbst zum Täter wird, da es jetzt Verantwortung übernimmt für den verwundeten Retter und der Täter seine vermeintliche Schuld nun sühnen kann, indem er selbst zum Retter wird und ein Fehlverhalten ausgleicht. Alle „spielen“ mit, da jeder bewusst oder unbewusst et­was von seiner Rolle hat. Ein immerfortwährender Ausgleich von Geben und Neh­men und hoher Unzufriedenheit, bis durch das bewusste Heraustreten aus dem Dramadreieck der Kreislauf durchbrochen wird…

So lässt sich im Märchen der Vater einerseits als Opfer sehen, der stirbt, ge­nauso wie als Täter, der das Erbe ungleich verteilt. Ebenso ließen sich die drei Brüder einordnen. Bereits jetzt wird sichtbar, dass ein integrales Coaching einen direkten systemischen Ansatz hat und das System, was jeder am besten kennt oder zu kennen glaubt, ist das seiner Familie. Jeder Betei­ligte wiederholt seine Muster bis er sie löst. Der Coach, im Märchen als Kater, kommt in einer Situation, die vom jüngsten Müller­sohn als ungerecht und ohnmächtig emp­funden wird. Er betrachtet sich als Opfer, öffnet sich nur widerwillig den unvertrauten Sichtweisen des Coaches. Er nimmt, nach einer kurzen Überlegung, ob es nicht doch sinnvoller wäre, dem Kater das Fell über die Ohren zu ziehen und Handschuhe dar­aus zu machen, den Kater und dessen Wunsch nach Stiefeln ernst und lässt sich schließlich auf eine alles verändernde Per­spektive ein.

In einem aktiven Coachingprozess wur­de das so beschrieben:

„Wie in allen Orga­nisationsformen, hat sich auch in unserem Kollegenkreis ein kollektives Unbewusstes angesammelt. Es entwickelte sich eine Struktur von Versorgern und „Versorgtwerdenden“. Zu Beginn war es energetisch schier nicht auszuhalten, da es in der Gruppe sehr viel Widerstand gab. Wesentlich war es erst einmal aufzuzeigen, dass es eine unabdingbare Voraussetzung ist, zunächst das Persönliche zu klären, bevor ein Werkeln auf professioneller Ebene möglich wird. Das dauerte anderthalb Tage und auch dann gab es noch Einsprüche. Schließlich hat die Gruppe sich normalerweise zusammengefunden, um an Inhalten zu arbeiten und nicht, um irgendwelche „psychologisch-persönlichen Probleme“ anzusehen. Die letzten Zweifler kamen an Bord, als deutlich wurde, dass auch das „Nicht- Zustimmen“ und „im Widerstand sein“ eine Berechtigung hat. In der Anerkennung dessen was ist, gibt es Kraft für jeden Einzelnen und auch für die Gruppe.“*

Auch das Märchen zeigt, dass die veränderte Perspektive unsicher und ungewohnt ist. Zweifel beginnen den Jungen zu plagen. Die Opferrolle, vertraut und längst in sein Bewusstsein übergegangen, wird deutlich. Er fragt sich, ob es richtig war, das letzte Geld für so etwas Unnützes wie Stiefel auszugeben. Doch bevor er tief in diesen Abgrund eintaucht, erscheint der Kater frohgelaunt mit einem Batzen Gold. Der Junge ist erstaunt und froh. Er begreift nicht was wirklich geschieht, lässt den Kater jedoch am nächsten Tag erneut losziehen. Der Junge versteht nicht, hinterfragt nicht, sondern lässt das Wunder der Wandlung einfach geschehen. Und so fügt sich Wunder an Wunder zur Transformation.

Als Verwirrung bezeichne ich jenen inneren Zustand, indem ein altes und bekanntes Muster nicht mehr greift und ein Neues noch nicht sichtbar ist oder als noch nicht sicher empfunden wird. Ein Risiko auf dem Weg, eine Bewährungsprobe, ob der Wille zur Veränderung die Entscheidung für die Änderung trägt. Es ist für mich ein offenes Coachgeheimnis, dass nicht jeder, der vor mir sitzt oder jede Gruppe mit der ich arbeite diese Veränderung wirklich will. Gleichzeitig ist es genau jener Moment, an dem die „Weichen“ gestellt werden. Ein Klient formuliert:

„…Das Treffen änderte definitiv meine Haltung zu völlig unhinterfragten Annahmen, die meine Rolle und die meiner Kollegen betreffen. Es war eine konstante Auseinandersetzung mit erstarrten Haltungen, mit alten Denkmustern und einer damit verbundenen unreflektierten Erwartungshaltung, sowie meinem Einsatz, den ich gewillt bin einzubringen.

Der ganze Prozess startete aus der augenblicklichen Situation. Was ist jetzt? Was ist die Realität? Kein romantischer, nostalgischer Ausflug in längst vergangene Zeiten. Die Fähigkeit sehr direkt mit uns zu kommunizieren, Dinge offenzulegen, sichtbar zu machen, wie wir an alten, antiquierten Meinungen hängen, wie wir miteinander umgehen bzw. kommunizieren, wie wir uns respektieren oder nicht respektieren und diesem Prozess bis zum Grund zu gehen und diesen zu akzeptieren, lässt plötzlich neue Kreativität und fließende Bewegung zu. Neugierig und vertrauensvoll blicke ich auf unser kommendes Treffen…“*

Wird dieser „Batzen Gold“, der in der Entwicklung im aktiven Prozess versteckt war entdeckt, ist das Dramadreieck durchbrochen. Jetzt werden Kompetenzen sichtbar und erlebbar. Über die Wertschätzung wird das Potenzial gesehen. Diese Wertigkeit bedeutet präsent sein, wach sein, sich seiner eigenen Geschichte zu stellen, unbewusst Anteile abgespalten zu haben und diese Fehlstellen jetzt sichtbar zu machen. Alles was gesehen ist, lässt sich annehmen, was angenommen ist, halten wir in der Hand, was wir in der Hand halten, können wir loslassen oder verändern. Die Sichtbarwerdung zeigt Wege, die gegangen wurden, Wege die Lernwege waren. Nicht alles war angenehm. Hildegard von Bingen, die große Ärztin, Mystikerin ihrer Zeit sagt, es gäbe zwei Wege zu lernen: Durch Leid, Krankheit und Schmerz oder in Liebe zu sich selbst. Anzuerkennen, wie oft der schmerzhafte Weg gewählt wurde, ein Umweg gegangen, um sich nicht nackt zu fühlen, hat die Lösung verhindert, das Leid hinausgezögert. Gleichzeitig wurde eine emotionale Kompetenz entwickelt, wurden Gefühle verstärkt wahrgenommen. Diese bilden nun die Grundlage für ein neues Dreieck, das der Kernkompetenzen eines jeden Menschen, (siehe Abbildung 2), der emotionalen Kompetenz als höchste Entwicklungsstufe und der Dialogfähigkeit, die die Verbindung zur Sachkompetenz oder beruflichen Kompetenz schafft.

Abbildung 2 - KernkompetenzenAbbildung 2

Um diese Kompetenzen leichter zu verstehen, erzähle ich gerne meine Bäckereigeschichte. Stellen Sie sich vor Sie gehen morgens zum besten Bäcker Ihrer Stadt. Sie tun dieses mit vielen anderen Menschen. Sie wissen, es sind eindeutig die besten Backwaren. Die Verkäuferin reicht Ihnen diese schlecht gelaunt über den Tresen und schimpft über die vielen Kunden. Wollen Sie wirklich diese Brötchen? Lassen Sie so mit sich umgehen? Wofür entscheiden Sie sich? Dem Bäcker nützt seine Sachkompetenz wenig, wenn die emotionale Kompetenz beim Kunden auf der Strecke bleibt. Es ist ein Lernfeld, das Wachstum ermöglichen wird.

Dieser Moment ist in jedem Coaching magisch und hat eine schier unglaubliche Heilkraft:

„Ich weiß sehr genau diesen Moment, als wir über die emotionale Kompetenz sprachen. Diese Fähigkeit steht über allen anderen. Es gab einen Moment der Stille in der Gruppe und ich weinte vor Rührung und Glück, weil ich die Gruppe zum ersten Mal auf einer Ebene spürte. Da wurde soviel Kraft frei und die Gruppe kam zusammen, unabhängig davon, ob ein Lehrer seit 25 oder fünf Jahren zum Team gehörte. Die Menschen wurden sichtbar und spürbar!!!!!
Es geht um die gegenseitige Wertschätzung, sich mit alldem, was über die Jahre erarbeitet wurde, innerlich anzulehnen und sich an diesem großartigen Netzwerk zu erfreuen. Dabei ist Abgrenzung ein altes Paradigma, Vernetzung ist ein Neues.“

Im Märchen bringt der Kater den Müllersohn dazu, nackt zu baden. Er versteckt dessen Kleider und der König, der vorbei kommt, lässt Sachen von sich selbst holen und kleidet den Jungen wahrlich königlich ein. „Kleider machen Leute“, sagt der Volksmund. Nun nimmt ihn die Königstochter wahr, findet Gefallen an ihm. Jetzt ist die Einheit da, die innere unsere wahre königliche Seite wird gesehen, die, die nie verletzt oder getroffen war. Die, die wir hinter unzähligen Mauern versteckt gehalten haben, dass wir an sie selbst schon nicht mehr glaubten. Wertschätzung lässt leuchten, lässt uns zu Königinnen und Königen des eigenen Lebensreiches wachsen und werden. Das Leid ist nicht mehr sichtbar. Die Kompetenzentwicklungen zeigen, wie wichtig der Weg war, um die persönliche Heldensaga zu formen, welche Lösungen welches Lernfeld geschaffen hat. Dabei geht es keines­falls mehr um Schuld, sondern ausschließlich um Erfahrungen. Diese werden genau dann gesammelt, wenn etwas nicht so funktioniert, wie wir es erwartet hatten. Damit beginnen kreative und aktive Lösungsmöglichkeiten. Nur wer nackt ist, jede Maske fallen gelassen hat, bekommt die Möglichkeit diese Nacktheit zu transformieren. Das bedeutet die eigenen Glaubensmuster zu erkennen, zu bekennen und zu verabschieden.

„Zudem ermöglich­te es die Arbeit, individuelle Glaubensmuster anzusehen und über deren Auflösung unser gemeinsames Feld zu stärken. Es gab immer wieder Momente in denen sich eine Person ihren Verstrickungen stellte, und die Gruppe den Raum hielt. So wurde nach und nach die Energie im Raum klarer und weiter. Dabei wurde deutlich, dass jeder Vorwurf ein schlecht formulierter Wunsch ist. Diese Aussage hat geholfen, in ein offeneres Begegnen zu kommen. Die Kraft der Eigenverantwortung, mit gegenseitigem Vertrauen und tiefem Annehmen der Unterschiedlichkeit jedes Einzelnen, gibt einen unendlich – lebendigen Raum.“

Ab jetzt geht es um etwas weit Größeres. Bis hierhin war es Begleitung, jetzt geht es um Führung. Der Kater geht nun voraus, genau wie ein Coach einen Schritt voraus bis der ehemalige Müllersohn gute sinnerfüllte Führung durch und in sich findet.

Und als der alte König stirbt, wirkt dieser Zauber ein weiteres Wunder. War aus dem armen Müllersohn bereits durch den Besitz ein Graf geworden, so wird er nun König, Er regiert – der Kater, wird jedoch erster Minister. Dem neuen König scheint klar zu sein, dass er bei eigener Führung und Verantwortung immer wieder auf den Coach bauen kann.

Es ist nichts in dem Märchen, was nicht schon da war. Und doch liegt in der Umverteilung, in der Veränderung der Sichtweisen ein Zauber. Eine neue Perspektive kann sich im Leben entwickeln – eine, die außerhalb von alldem liegt, was wir uns vorstellen können. Koppeln wir uns bedingungslos an das eigene Leben, vertrauen wir den Fügungen des Schicksals – der Schuster kommt just in dem Moment vorbei, als der Kater seinen Wunsch nach Stiefeln äußert – werden wir vertrauensvoll geleitet. Dieses Wagnis einzugehen und dem zu folgen, das aus dem kleinsten Teil unseres Erbes etwas unvorstellbar Großes werden lässt, ist die Chance, das Dramadreieck in emotionale Kompetenz zu wandeln.

Jeder Mensch braucht diesen Kater, eine Vision die so unbe­kannt ist, dass die Verwirrung die daraus entsteht, alte Muster vernebelt und das Unbekannte gleich mit, damit wird Führung möglich. Das alte Paradigma der Abgrenzung gilt es heute zu überwinden, zu öffnen, hin zu einer Vernetzung einem gleichbe­rechtigten Miteinander. Da unsere Wahrnehmung ein selektiver Prozess ist, geprägt von eigenen Erfahrungen, gibt es keine objektive Sichtweise. Ein stabiles Miteinander geht von stabilen Standpunkten aus. Der Standpunkt darf sich verändern, das ist Entwicklung und Stabilität ist die Grundlage von Vielfalt. Diese Vielfalt kann und darf das neue Kraftzentrum des Miteinanders sein.

„Zwischendurch lehne ich mich an die spürbare Kraft des Netzwerks an und versuche, an die wertvolle Erfahrung anzuknüp­fen. Das Erleben hat so sehr verdeutlicht, dass wir ALLE in Eigenverantwortung und Verbindung viel mehr Kraft haben. Das gilt es immer wieder zu erinnern!!!!!“

Die Zitate stammen von Maruan Fakhuri (BOD ESI) und Elke Werner (BOD ESI), herzlichen Dank.